Gustav Hagemann mit Elisabeth und Günther Lücke

 

 

Lebenslauf

 

Was Gustav Hagemann zeigt, ist sein eigenster Besitz. Jahrelang ist er durch das schweigende Land der Lappen gewandert. Jedes Bild, das er schuf, legt Zeugnis ab von der Tiefe des Erlebens, das dort seinem eigenen Wesen entgegen wuchs. Er gibt diesen Eindruck mit sparsamen Mitteln wieder, wie denn auch wohl alle Einzelheiten in dieser Weiträumigkeit gegenständlich bedeutungslos sind und nur die großen Umrisse, scharf in die Leere schneidend, ihren Wert behalten.
Man wird nicht oft einen Künstler finden, bei dem sich Leben und Werk so überzeugend zusammenfügen, mit solcher Selbstverständlichkeit eine gewachsene Einheit bilden wie im Fall des vielseitigen Gustav Hagemann. Hagemanns Existenz als Maler, Graphiker und Bildhauer, als Pädagoge und Forscher bietet sich dar wie aus einem Guß.

Wie verlief sein Leben?
Er wurde am 17. Februar 1891 im Dorf Engelnstedt im Gebiet der heutigen Stadt Salzgitter als Sohn eines Bauern geboren. Er besuchte das Gymnasium in Wolfenbüttel, dann die Kunstschule in Kassel. In Torgau setzte er als Referendar erstmals kunstpädagogischen Lehrstoff in die Praxis um. Dann hielten ihn vier Jahre, in denen er als Soldat am Ersten Weltkrieg teilnahm, von künstlerischer Tätigkeit fern. Als Hagemann 1920 das Kunststudium in München wieder aufnahm, widmete er sich dem Fach Bildhauerei, das ihn herausforderte und für seine weitere Entwicklung förderlich gewesen ist.

1922 kehrte er in die kulturträchtige Kleinstadt Torgau im Umfeld Leipzigs an der Elbe zurück, um dort als Kunsterzieher (und Sportlehrer!) zu wirken, bis man ihn wieder einmal zum Kriegsdienst verpflichtete: 17 Jahre. Aber was umfaßt diese wichtige, für sein inneres Fortkommen, für die Erweiterung seines bildnerischen Horizontes vielleicht wichtigste Phase nicht an bedeutsamen Ereignissen, entscheidend für den Aufschwung der Produktivität und ihren fortschreitenden Reifeprozess.

Zunächst Ausstellungen und damit nachhaltig wirksame Kontakte mit der Öffentlichkeit. In der Berliner Galerie Ferdinand Möller machte er von 1927 an und über die Zeit bis 1939 hin auf sich mit beachtlichem Erfolg aufmerksam durch die Ausbeute seiner entdeckerischen Fahrten ins Nordland. Blättert man in den kritischen Kommentaren, die Hagemanns in Berlin und Torgau, im Leipziger Grassi-Museum oder im Prinzessinnenschlösschen von Jena gezeigten Arbeiten behandeln, so stößt man immer wieder auf Bekundungen der Freude über soviel erlebnisträchtige Unmittelbarkeit.

Überall, wo Gustav Hagemann seine Arbeiten präsentierte, glaubte man in ihnen "etwas Verklärtes" zu entdecken, eine unwirkliche Welt, mehr Schauplatz von Sagen als ein mögliches Reiseziel, entsprechend aquarelliert: Die Farben erscheinen fast entmaterialisiert, so hell und schillernd fließen sie über das Papier.

Was Hagemann im Bereich der Lappen an formalen Gegebenheiten vorfand, besaß für seine Augen die eindringliche optische Botschaft der sich selbst überlassenen Natur, die elementare Ausdruckskraft der Schöpfung. Was ihm da entgegenkam, offenbarte jenen geballten Zustand, der nach expressiver, wenn man so will: expressionistischer Wiedergabe verlangte.

Hagemann, der von Torgau aus bereits Ostpreußen und Pommern durchstreift hatte, unternahm von 1926 an jährlich viermonatige Studienreisen in die Länder des Nordens. Es heißt, er habe sich damit einen lange gehegten Wunsch erfüllt, denn in der Jugend sei er schon von der Sehnsucht zum Norden gepackt worden.

Sein Sohn Christoph Friedel Hagemann schreibt über die Erlebnisse des Vaters in einem verständnisvoll nachzeichnenden Lebensbericht "Unter dem Nordlicht", 1966.

Gustav Hagemann selbst schreibt in seinem Buch "Das Leben der Lappen", 1976 über seine Begegnung mit dem scheuen Volk des Nordens.

Die Begegnung mit den Lappen bestimmten Hagemanns Leben als Künstler und Forscher. Er zog mit auf ihren Wanderungen und veranlaßte sie, ihre Lebensgewohnheiten und Mythen in Kupferplatten mit dem Jagdmesser zu ritzen, die er dann wie Kupferstiche drucken ließ und in einem umfangreichen Mappenwerk herausbrachte.

Gustav Hagemann ist uns allgemein als expressionistischer Maler des Hohen Nordens und Lappenforscher bekannt, weniger jedoch als Plastiker. Dies verwundert um so mehr, als Hagemann seine künstlerische Ausbildung in der Bildhauerschule von Prof. Schwägerle in München bekann. Allerdings ist zu bemerken, dass infolge zweier Weltkriege nahezu sein gesamtes Frühwerk mit seinen plastischen Arbeiten vernichtet wurde. Zu den wenigen aus dieser Zeit noch erhaltenen Bronzen gehört der stark von Lembruck beeinflußte "Wurmtöter" aus dem Jahre 1920 sowie der "sitzende Jüngling" (1932) und sein Gegenstück, der "hockende Frauenakt" (1933).

Diese Arbeiten waren im besten Sinne Augenblickesarbeiten, Plastiken um ihrer selbst willen, losgelöst von einer wie auch immer gearteten Problematik oder Weltanschauung, wie wir sie in den großartigen Kompositionen seiner zahlreichen Ölbilder, Auqarelle oder Holzschnitte späterer Jahre vorfinden.

Das Begreifen der Natur als schicksalhaftes Erlebnis begann für Gustav Hagemann erst mit seinen alljährlichen Studienreisen in die mitternächtigen Länder Schweden, Norwegen und Finnland. Er hat die dort lebenden einfachen Menschen oft bei ihren täglichen Arbeiten in flüchtigen Kohle- oder Bleistiftskizzen festgehalten und sie später mit in seine zahlreichen Holzschnitte, großformatigen Ölbilder sowie in die Kleinplastiken der siebziger Jahre aufgenommen.

Insbesondere sein Hauptwerk die "Menschenwoge" wurde von G. Hagemann als Kleinplastik geschaffen, aber doch bereits für eine monumentale Ausführung vorgesehen. So fiel die Anregung von Dr. Klaus Berner, anläßlich der Jubiläumsausstellung zum 85. Geburtstag Gustav Hagemanns, die nur 15 cm hohe Bronze "Menschenwoge" als Großplastik auszuführen, sowohl beim Künstler als auch erfreulicherweise bei den zuständigen Gremien des Rates und der Verwaltung der Stadt Salzgitter sowie der Presse auf fruchtbaren Boden. Gustav Hagemann konnte so etwas wie ein Herzenswunsch erfüllt werden, als am 7. Oktober 1978 vor Schloß Salder sein Denkmal "Menschenwoge" von 2,50 Meters Höhe als krönender Abschluß einer Brunnenanlage der Öffentlichkeit in einer Feierstunde übergeben wurde.

Nach den eigenen Worten des Künstlers soll in dieser Bronzeplastik "das Schicksalhafte im Leben der Menschen symbolhaft zum Ausdruck kommen, wie sie alt werden, zusammenbrechen, der Tod sich naht und wie das Ganze nach oben durch ein junges Menschenpaar ausklingt."

Gustav Hagemann hat für diese Plastik die äußere Form einer Pyramide gewählt, in deren einfacher Geometrie sowohl das fest verankerte Fundament, das Erdgebundene, das Vergängliche als auch das Emporstrebende, das Überwinden der Schwere und der Vergänglichkeit - das Leben schlechthin - dargestellt ist. Vergleiche mit den lappischen Ritzzeichnungen, in denen der Lebenskreislauf auch in einer geometrischen Form - einer Spirale - gezeigt wird, drängen sich auf.

Doch während diese Lebensspirale meist im Mittelpunkt mit der Darstellung des Todes endet, ist bei dieser Plastik wohl ein hoffnungsvoller Lebensweg vorgegeben. Der Weg ist umgekehrt, den uns Gustav Hagemann aus der Summe der Erfahrungen seines hohen Alters zeigen wollte: Der Tod ist nicht das Ende, sondern der Anfang, das Fundament des neuen Lebens.

Gustav Hagemann darf nicht nur für sich in Anspruch nehmen, zu den Erforschern Lapplands zu gehören, er ist auch ein Erschließer dortigen Lebens, ein verständnisvoller Interpret jener Menschen, die sich Vorstellungen und Mythen, Bräuche und Gewohnheiten von altersher über ungezählte Generationen bis in unsere Tage bewahrt haben. Wir verdanken ihm mit den Ritzzeichnungen kulturhistorsich bedeutsame Dokumente. Sein umfangreiches Oeuvre, diese mit ungewöhnlicher künstlerischer Energie erreichte Lebensleistung, gab uns eine in solcher Geschlossenheit wohl einmalige Bildchronik des Nordens, geschaffen von einem Maler, Graphiker und Bildhauer, der bis zum letzten Atemzug nicht aufgehört hat, seine zweite Heimat zu rühmen.

Die von ihm am Rande des Kontinents gemachten Erfahrungen wirken vielfach nach. Durch ihn wurde uns ein Stück Welt zugänglich, das wir ohne ihn so nicht kennengelernt hätten. Dass er den Wink des Schicksals verstand und sich einem großen Thema verschrieb, macht ihn zum Einzelgänger von Rang.

Gustav Hagemann verstarb am 24. Mai 1982.

Gustav Hagemann wird im Gedächtnis bleiben als ein Künstler, der Europas Norden, Mensch, Tier und Landschaft, gestaltet und mit den ihm zugänglichen ästhetischen Mitteln meisterlich gedeutet hat.

Auszüge aus dem Buch "Gustav Hagemann - Der Maler des Nordens" von Heinrich Mersmann - Chr. Friedel Hagemann, Sauerland-Verlag - Iserlohn

Auszüge aus dem Katalog des Kulturamtes der Stadt Salzgitter. Auszüge der Würdigung über Gustav Hagemann von Dr. Klaus Berner

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